Für manche Hunde ist ein Aufenthalt im Tierheim nur ein kurzer Boxenstopp auf dem Weg in ein erfülltes Leben. Andere warten Jahre ohne Aussicht auf ein passendes Zuhause. Mit dem Projekt „Start ins – neue – Leben“ helfen Leiterin Perdita Lübbe-Scheuermann und ihr Team solchen Vierbeinern. Wie das klappt und welche Herausforderungen es mit sich bringt, erzählt Hundetrainerin Frauke Loup hier.
Das Interview führte Lena Schwarz
Frauke, was ist der Ansatz von „Start ins – neue – Leben“?
In den letzten Jahren sitzen vermehrt schwierige Hunde in den Tierheimen. Aufgrund eines gesteigerten Aggressions- oder Beutefangverhaltens haben sie kaum eine Chance auf Vermittlung. Den Tierheimmitarbeitern fehlen häufig die Möglichkeiten, diese Hunde zu händeln bzw. sie auf ein neues Zuhause vorzubereiten. Durch unser Projekt konnten wir im Viernheimer Tierheim einige dieser Hunde unterbringen. Dort gibt es Mitarbeiter, die auf Trainer-Niveau mit diesen schwierigen Kandidaten umgehen können. Außerdem sind täglich Trainer dort. Gemeinsam arbeiten sie regelmäßig mit den Hunden. Diese haben also unterschiedliche Menschen- und Hundekontakte, was sowohl die Lebensqualität als auch die Vermittlungschancen verbessert.
Wie entscheidet ihr, welche Hunde ihr aufnehmt?
Sobald ein Platz frei ist, können sich einerseits Tierheime mit den entsprechenden Kandidaten melden. Grundvoraussetzung für eine Bewerbung ist, dass es sich um einen Hund handelt, an den keiner herankommt und der im Ursprungstierheim aus diesem Grund „geschiebert“ wird. Das bedeutet, dass er sich nur innerhalb seines Zwingers aufhält, da ihn aufgrund seiner Gefährlichkeit keiner händeln kann. Andererseits nimmt das Tierheim Hunde auf, welche die Viernheimer Bürgern abgeben.
Bei jedem Hund wird eine genaue Charaktereinschätzung vorgenommen. Bei manch einem Abgabehund, aber auch bei Fundhunden, stellt sich erst nach ein paar Tagen heraus, dass es sich um einen „Start ins – neue – Leben“ (SinL)-Hund handelt. Sei es, weil er Ressourcen und/oder sein Territorium verteidigt, aus Selbstschutz beim Anfassen oder bei Untersuchungen beißt oder weil er ausgeprägtes Beutefangverhalten zeigt.
Die Hunde, die zum Projekt gehören, wohnen im Tierheim Viernheim. Herdenschutzhund-Mix Chava (ihr Name bedeutet „besorgt“) steht im Innenbereich des Tierheims vor den Zimmern.
Die „Start ins – neue – Leben“ Hunde tragen neuerdings fast alle Namen aus der Bantusprache Shangaan. Weshalb?
Seit Jahren reisen Perdita Lübbe-Scheuermann und ihr Mann regelmäßig nach (Süd-)Afrika. Daraus entstand ihr erstes Tierschutzprojekt „Rettet das Nashorn“. Sie entwickelten auch eine Leidenschaft für den Kontinent, die Menschen und die Kultur. Außerdem mögen wir ausgefallene Namen. Paul, Lotte und Lilly passen nicht zu uns. Shangaan ist eine in Teilen Südafrikas gesprochene Sprache, daher lag es nahe, bei der Namensgebung in diese Richtung zu schauen. Der heiße Draht nach Afrika ist vorhanden und so können wir nach der Aussprache fragen und diese dann üben. Ein Malinois heißt zum Beispiel Majengelane (Maschingalaan). Das bedeutet „security“ und das ist er wahrlich. Mbiri heißt „zweite Chance“, Kambe bedeutet Neuanfang und so weiter. Unsere Hunde heißen nicht nur – sie leben ihre Namen und das ist uns wichtig.
Herdenschutzhund Kambe („Neuanfang“) kam über den Tierschutz nach Deutschland und ist nun im „Start ins – neue – Leben“-Projekt. Im großen Auslauf kommen tagsüber mehrere Hunde in einer größeren Gruppe zusammen. Das Team setzt sich immer wieder einmal dazu, um bei den Hunden zu sein, ihnen Nähe zu geben, um sie zu beobachten, etc.
Wie arbeitet ihr mit den Hunden?
Das ist sehr individuell. Beim einen ist die Problematik, dass er sich schwer untersuchen lässt, beim nächsten sind Hundebegegnungen das Thema oder aber Gelassenheit bei Bewegungsreizen.
Zunächst ist ein Gesundheitscheck unerlässlich (großes Blutbild, Mittelmeercheck, Röntgen etc.). Dann findet eine erste Einschätzung statt, damit wir mehr über die Charaktereigenschaften und die „Baustellen“ erfahren. Verschiedene Trainer und das ausgesprochen gut geschulte Tierheim-Team arbeiten regelmäßig professionell mit den Hunden. Unerlässlich ist bei den schwierigen Kandidaten der Einsatz von Maulkörben. Diese Absicherung hilft, die Hunde „nach vorne“ zu bringen. Situationen, die in früheren Zeiten unter Umständen vermieden wurden, kann das Team dadurch in Angriff nehmen. Es geht darum, die Hunde wohlwollend zu fordern und zu fördern.
Wir mögen sie, wir bauen Vertrauen auf, wir geben Nähe, wir schenken Respekt (im Sinne von Achtung), wir fordern umgekehrt Respekt, wir lassen nicht zu, dass sie uns „benutzen“ (zum Beispiel bedrängen). Wir geben Sicherheit, Schutz und Halt.
Wichtig ist uns, dass die Hunde von Anbeginn Kontakt zu Artgenossen haben. Jeder bekommt einen WG-Partner und zwischendurch sind die Hunde (teils unter Aufsicht) in einer großen Tages-Gruppe zusammen.
Die Menschen, die SinL-Hunde aufnehmen möchten, müssen sicher bestimmte Eigenschaften mitbringen, oder?
Interessenten sollten Hundeverstand mitbringen und um die Bedürfnisse von Hunden wissen. In der Regel braucht es Menschen mit Hundeerfahrung: Es ist wichtig, hündische Körpersprache zu verstehen. Empathie gehört dazu, aber kein Mitleid im Sinne von „Ich rette einen armen Hund mit schlimmer Vergangenheit“. Überheblichkeit nach dem Motto: „Ich komme mit jedem klar“ ist fehl am Platz.
Nicht jedem liegt es, einen Hund geradlinig zu führen, Grenzen zu setzen, klar zu sein. Nicht jeder bringt die nötige Souveränität mit, nicht jeder kann auch mal fünfe gerade sein lassen und das eine oder andere aussitzen. Das muss im Vorfeld offen besprochen und abgeklärt werden. Die Interessenten kommen vor Übernahme eines Hundes mehrfach zu Besuch. Sie erhalten dann bereits Anleitung und Hilfestellung, was den Umgang anbelangt. Das Training kann das Team nach Vermittlung im Bedarfsfall fortführen. Wir stehen mit Rat und Tat zur Seite. Im Vorfeld klären wir ab, dass die Hunde nach Vermittlung nicht bei Seminaren zum Einsatz kommen. Sie haben viel erlebt, niemand soll nun an ihnen herumprobieren.
Weimaraner Momo ist ein ehemaliger „Start ins – neue – Leben“-Hund. Er lebt jetzt bei Frauchen Claudia Egger. Auch Frauke Loup hat zwei SinL-Hunde aufgenommen, darunter Sparky (links) und Tsakani (rechts). In der Mitte sitzt Fly.
Gibt es Hunde, für die es besser ist, sie in Ruhe zu lassen und im für sie bestmöglichen Umfeld einfach ihr Leben leben zu lassen?
Das passende Umfeld muss auf jeden Fall gegeben sein, wenn wir einen SinL-Hund vermitteln. In unserem Projekt gibt es den Hovawart-Rüden Dr. Honigtau Bunsenbrenner. Er wäre sicher in einer engen Stadtwohnung nicht glücklich. Er hat eine große Individualdistanz, er braucht Raum, er benötigt zudem immer wieder Ruhe-Phasen zum Abschalten. Eine Großfamilie, in der ein Kommen und Gehen ist und wo jeder den Hovawart streicheln will, passt nicht. Dennoch soll er wie jeder Hund Anschluss und seine festen Bezugspersonen haben. Bei den SinL-Hunden passen tendenziell eher Haushalte mit nur ein bis zwei Bezugspersonen. Es braucht für die meisten SinL-Hunde eine gute Mitte zwischen „mal an die Naht gehen“ und ein Stück weit Akzeptanz der besonderen Eigenheiten. Der jeweilige Hund bringt eine Geschichte mit und braucht dauerhaft einen entsprechenden Umgang. Die SinL-Hunde werden durch das vorbereitende Training zwar händelbar, ihre „Päckchen“ sind dennoch vorhanden und müssen berücksichtigt werden.
Der Name von Hovawart Dr. Honigtau Bunsenbrenner ist von der Fernsehsendung „Die Muppet-Show“ inspiriert.
Was ist einer eurer größten Erfolge?
Es gibt gleich mehrere Erfolge: Wir freuen uns über die Realisierung und die Vergrößerung des Projekts. Es macht uns zudem glücklich, wenn die Hunde beginnen, zu vertrauen. Am meisten macht uns allerdings glücklich, dass wir zahlreiche Hunde aus dem Projekt in gute Hände vermittelt haben. Wenn ein Hund – insbesondere einer der schwierigen – ein Zuhause gefunden hat, kullern bei uns Freudentränen.
„Start ins – neue – Leben“ ist bestimmt sehr kostenintensiv. Wie stemmt ihr das?
Vor Corona konnte Perditas Hundeschule, die „Hunde-Akademie“, einen Teil beisteuern. Das fällt momentan leider weg. Die Lage wird nun Tag für Tag zunehmend kritischer. Wir haben einige Unterstützer (Happy Dog, ADAPTIL, die Tierdirekt-Versicherung) und haben Gönner, die an uns denken. Wir sind von Spenden abhängig, die werden allerdings weniger und weniger, da das Geld für viele knapper wird.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Zunächst einmal wäre es toll, wenn sich ein paar mehr Menschen an einen schwierigen Hund herantrauen und weitere SinL-Hunde ein Zuhause finden – selbstverständlich mit unserer Unterstützung. Das Allerbeste wäre natürlich, wenn solch ein Projekt gar nicht erst notwendig wäre.
Unserer Meinung nach sollte an unterschiedlichen Stellen angesetzt werden: Es ist sinnvoll, sich vor Anschaffung eines Hundes intensiv zu informieren: Welcher Hundetyp passt wirklich und was genau bedeutet es einen Hund zu halten und zu erziehen? Wir wünschen uns darüber hinaus für Interessenten eine ausführliche Beratung der vermittelnden Stellen rund um den individuellen Charakter der Hunde und den Umgang mit ihnen.
Zur Projekt-Website kommt ihr hier.
Wie können Hundefreunde „Start ins – neue – Leben“ unterstützen?
Mehr denn je sind wir gerade auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um das Projekt am Laufen zu halten. Wir danken jedem, der hilft:
Animal Rescue – Tierrettung ohne Grenzen e.V.
„Start ins – neue – Leben“
Sparkasse Heidelberg
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BIC: SOLADES1HDB