Der Verhaltensbiologe Professor Kurt Kotrschal erklärt in seinem Buch „Hund & Mensch“, warum wir und unsere Hunde uns so nah sind. Er plädiert für ein „Menschenrecht auf Hundehaltung“. DER HUND sprach mit dem Autor.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte, die den Hund verhaltensmäßig vom Wolf unterscheiden?
Hunde haben wesentlich steilere Dominanzhierarchien im Kopf. Sie sind auch eher bereit zu respektieren, dass ich dominant bin. Untereinander sind Wölfe toleranter als Hunde, das merkt man auch in Versuchen. Die Wölfe eines Rudels fressen zum Beispiel gemeinsam an der Futterquelle. Da wird auch geknurrt, Wölfe verhandeln eben mehr miteinander. Hunde sehen hingegen die Verhältnisse oft als gegeben an und respektieren sie. Das ist ganz wichtig, denn das macht Hunde wirklich kompatibel mit Menschen.
Wir Menschen waren nicht immer freundlich zu Hunden. Warum bevorzugen sie uns dennoch als Sozialpartner?
Unsere Ergebnisse zeigen ganz klar, dass der Hund Unterstützung durch den Menschen braucht. Ein Beispiel: Wir haben in unserem Forschungszentrum das größte Laufband der Welt. Wir trainieren Hunde und Wölfe, frei darauf zu laufen, und untersuchen dabei soziale Komponenten der gemeinsamen Jagd. Wir dachten anfangs, es sei sehr viel leichter, Hunde zu trainieren, dass sie das Laufband benutzen, als Wölfe. Es war aber genau umgekehrt. Wir kamen dann auch darauf, warum. Die Trainerinnen standen nämlich oft außerhalb des Geheges. Den Wölfen ist das völlig egal. Die kriegen die Message und reagieren darauf. Sie sind dabei autonome Wesen. Haben sie beschlossen, das Laufband zu benutzen, dann tun sie es. Punkt. Bei Hunden sieht es anders aus: Sie zögern, sind verunsichert ‒ soll ich oder soll ich nicht, und wo ist der Mensch? Und wenn der Mensch sie nicht immer wieder motiviert, ist die Leistung der Hunde eher schlecht.
Wie sieht denn die ideale Hund-Mensch-Beziehung aus hundlicher Perspektive aus?
Hunde haben eine große Kapazität, uns Menschen unsere Fehler zu verzeihen. Es ist schon fast ein Wunder, dass selbst schlecht behandelte Hunde eine Beziehung zu Menschen eingehen. Eine ideale Beziehung ist aus Sicht des Hundes die zu einem Menschen, der ihm Sicherheit gibt. Sicherheit erhält der Hund, indem der Mensch ihn klar und ruhig führt. Der Mensch soll durchaus vorgeben, wohin es geht, aber ohne dabei auf negative Maßnahmen zurückzugreifen.
Sie schreiben auch: Menschen brauchen Hunde. Früher war der Hund in vielen Bereichen unentbehrlich, etwa als Jagdhelfer, aber in der heutigen Zeit?
Das ist ein typisches utilitaristisches Denken, bei dem nur der Nutzwert zählt. Wir müssen aber davon ausgehen, dass der Erstkontakt von Mensch zu Wolf weniger von einer Nutzbeziehung geprägt war. Menschen hinterlassen zwar allerlei Dinge, die für Wölfe interessant sind. Umgekehrt sind sich Archäologen heute weitgehend einig, dass die meisten Kontakte des Menschen zum Wolf spirituell begründet waren. Damals schon gab es Bedürfnisse des Menschen, mit Tieren zusammen zu leben, die nicht nutzbegründet waren. Erst später wuchs die Bedeutung der Nutzung als Jagdgefährte oder Hütehund.
Ich plädiere ja für ein Menschenrecht auf Hundehaltung. Die große soziale Ähnlichkeit von Hunden und Menschen beinhaltet, dass Hunde elementare soziale Bedürfnisse des Menschen erfüllen. Hunde zeigen uns Menschen gegenüber eine relativ bedingungslose Zuwendung. Das ständige Urteilen, wie wir Menschen es betreiben, zeigt der Hund eben nicht.
Das ganze Interview von Kenneth Knabe mit Professor Kurt Kotrschal lesen Sie in Ausgabe 12/2016 von DER HUND.
DER HUND ist auch als Online-Ausgabe erhältlich.