Wie unterscheiden sich Beutefang- und Aggressionsverhalten? Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Und mit welchem Training kann man entgegenwirken? Hundetrainerin Sandra Schmelzer berichtet von Fällen aus ihrer Hundeschule und gibt Handlungstipps und Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Verhaltensweisen.

Freund? Feind? Beute?
Den Schwierigkeitsgrad der Übungen steigern
Grenzen des Trainings
Interessant zu wissen

Freund? Feind? Beute?

Beutefang- und Aggressionsverhalten

Wie unterscheiden sich Beutefang- und Aggressionsverhalten? Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Und mit welchem Training kann man entgegenwirken? Hundetrainerin Sandra Schmelzer berichtet von Fällen aus ihrer Hundeschule und gibt Handlungstipps und Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Verhaltensweisen.

Bei einer Gegenüberstellung von Beutefang- und Aggressionsverhalten zeigt sich, dass sich sowohl die Motivation als auch die Eskalationsstufen deutlich unterscheiden. Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass bei beiden Verhaltensweisen sogar unterschiedliche Hirnregionen angesprochen werden. Hunde, die wegen Problemen einem Trainer vorgestellt werden, zeigen meist Überreaktionen. „Die Trainer haben oft das Problem, dass bei übersteigertem Aggressionsverhalten eine oder mehrere Stufen übersprungen werden. Das macht die Hunde meist unberechenbar“, weiß Sandra Schmelzer.

Früh trainieren beugt vor

Hunde erlernen das Jagdverhalten inklusive Beutefangverhalten von klein auf. Gerade die achte bis 16. Woche ist entscheidend. Denn grundsätzlich könnte alles, was ein Lebewesen ist und sich bewegt, potenzielle Beute sein. In der genannten Sozialisierungsphase sind zwei Kontaktarten sehr wichtig: Der Kontakt mit sehr vielen unterschiedlichen Lebewesen und Bewegungsreizen sowie der Kontakt mit verschiedenen Individuen ein und derselben Art. Auch im späteren Verlauf des Lebens kann eine solche Sozialisierung noch erfolgen, wenn auch mit erheblich mehr Aufwand.

Da es sich beim Aggressionsverhalten um Kommunikation handelt, ist es wichtig, diese nicht sofort unterbinden zu wollen, sondern richtig zu deuten. Man sollte erst eingreifen, wenn tatsächlich ein Kampf droht. Uns muss bewusst sein, dass jeder Hund Aggressionsverhalten zeigt. Wichtig ist es, in der Erziehung klare Grenzen zu setzen, also mit dem Welpen/Hund zu kommunizieren. Nur so können sich auch Beißhemmung, Frustrationstoleranz und die Schwellen zu den Eskalationsstufen auf einem normalen Level festigen.

Bei übersteigertem Aggressionsverhalten kommt die Desensibilisierung zum Einsatz, die am besten einzeln geübt wird. Folgende Punkte sind wichtig:

  1. Fixieren unterbrechen: Als Halter muss ich genau beobachten, bei welcher Distanz mein Hund auf etwas reagiert. Schauen ist erlaubt, fixieren mit zielgerichteter Körpersprache nicht. Das muss freundlich, aber bestimmt unterbrochen werden.
  2. Alternative anbieten: Hat der Abbruch funktioniert, fordert der Halter ein Alternativverhalten ein beziehungsweise bietet es bei unsicheren Hunden an. Das kann zum Beispiel irgendeine antrainierte Handlung sein wie „Gib fünf!“ Das Alternativverhalten, und nur das! – also nicht das Unterbrechen – wird belohnt.

Den Schwierigkeitsgrad der Übungen steigern

  • Gemeinsamer Spaziergang: Trainer- und Schülerpaar gehen zusammen spazieren. Der Hund der Trainerin bleibt gelassen und beachtet den anderen Hund nicht, egal, was passiert. Der Hund der Schülerin ist irritiert und lernt, dass sein Verhalten nichts bringt.
  • Frontalbegegnung: Mit dieser Übung kann man beginnen, sobald der Hund ein angemessenes Verhalten an den Tag legt. Beide Paare laufen aufeinander zu.
  • Umrunden: Das Schülerpaar stellt sich irgendwo hin. Das Trainerpaar umrundet es in immer kleiner werdendem Abstand, ohne jemanden zu nötigen.
  • Freilauf: Hierbei bleibt der lernende Hund an der Leine und der/die Hunde der Trainerin dürfen frei umher laufen, ohne den Schülerhund zu beachten.
  • Begrüßung: „Meine eigenen Hunde sind der Indikator. Weichen sie dem Schülerhund nicht mehr aus, hat dieser schon viel gelernt und sein Verhalten so verändert, um Begrüßungen trainieren zu können.“, sagt Schmelzer.

Beutefangverhalten kontrollieren

Eine Kontrolle über das Jagdverhalten ist schwer zu erlangen. „Wenn überhaupt, ist das nur über sehr guten Gehorsam oder Alternativverhalten möglich. Klappt das nicht, muss der Hund in wildreichen Gebieten an der Leine bleiben“, sagt Schmelzer. Folgende Möglichkeiten sieht sie, um dem Beutefangverhalten entgegenzuwirken:

Sichtjäger müssen lernen, vor dem Zupacken ihre Nase einzusetzen. Solche Hunde werden dennoch weiterhin auf bestimmte Bewegungsreize reagieren. Die Impulskontrolle muss trainiert werden.

Beim aktiv suchenden Hund kann man sehen, wenn er seine Nase zielgerichtet einsetzt. Die Chance besteht darin, den Hund sofort in seinem Vorhaben zu unterbrechen. Wichtig bei diesen Hunden ist zudem, sie durch Nasenarbeit auszulasten. Bekommen die Hunde diese im kontrollierten Rahmen, kann der Halter das Verhalten eher umlenken.

Grenzen des Trainings

Benutzt ein Hund das Beißen als Ventil für angestaute Frustration, wird es schwierig. Der Hund zeigt in diesem Fall nämlich kein Aggressionsverhalten. Er überspringt die Stufen, auf die man reagieren kann, und handelt unvermittelt und ungehemmt. Eine Chance für den Hund gibt es, wenn die Stressfaktoren klar identifiziert und eliminiert werden können. „Zu mir wurde einmal eine Hündin gebracht, die mit einer anderen Hündin bei einer Familie lebte“, erzählt Sandra Schmelzer. „Ihr Stressauslöser war die ungeklärte Rangordnung der beiden Hunde. Die Lösung war schlussendlich, sie in einer anderen Familie unterzubringen. Mit dem dort lebenden Hund kommt sie super klar. Dennoch wurden die neuen Halter aufgefordert, wachsam zu sein. Denn wenn der Hund einmal gemerkt hat, dass eine massive Beißattacke ihm Erleichterung verschafft, sind wir schon beim erlernten Verhalten.“

Aggressionsverhalten …

… ist Kommunikation zwischen zwei Individuen. Welpen lernen es ab der Geburt.

Ziel: Überleben und Arterhaltung

Motivation:

  • Ich möchte etwas behalten, das ich bereits habe.
  • Ich möchte etwas bekommen, das du hast.
  • Das kann sein: Futter, Spielzeug, Territorium, Sozial- und Sexualpartner, körperliche Unversehrtheit

Eskalationssignale:

  • Anstarren / Fixieren
  • Lautäußerungen
  • Deutliche Mimik und Körpersprache in unterschiedlichen Stufen

Laut: Aggressionsverhalten wird fast immer von Geräuschen begleitet. Ausnahme ist der Ernstkampf.

Beutefangverhalten …

… geschieht ohne Kommunikation. Es ist eine sehr zielgerichtete Handlung. Welpen lernen es spielerisch.

Ziel: Überleben

Motivation: Nahrungsbeschaffung

Eskalationsstufen:

  • Suchen (optisch und/oder mit der Nase)
  • Anstarren/Fixieren
  • Verfolgen
  • Lauern
  • Hetzen
  • Packen
  • Ggf. Kampf
  • Töten und Fressen

Laut: Alles geschieht normalerweise lautlos, da die Beute nicht gewarnt werden soll. Ausnahme sind Spurlaut gebende Meutehunde.

Imponierverhalten

Wendet sich bei der Kommunikation zwischen zwei Hunden einer ab, zeigt der andere schwächere Aggressionssignale und dafür oft Imponierverhalten. Wechsel zwischen diesen beiden Verhaltensarten sind sehr schnell möglich.

Imponierverhalten ist – anders als Aggressionsverhalten – immer ohne Blickkontakt!

Mögliche Zeichen: Groß machen, Knurren, gesträubtes Fell, steifer Gang.

Interessant zu wissen

  1. Umgangssprachlich ist Aggression negativ besetzt. Dabei bedeutet Aggressionsverhalten nichts anderes als Kommunikation. Nur so kann der Hund seine Wünsche und Bedürfnisse mitteilen.
  2. „Manchmal wird mir von Hundehaltern empört berichtet: ‚Er hat mich angeknurrt.‘ Da denke ich immer: ‚Zum Glück warnt er noch!‘ Denn schlimm wird es erst, wenn diese Stufe übersprungen wird und der Hund gleich zubeißt. Knurren ist einfach eine Warnung, auf die wir reagieren sollten“, sagt Schmelzer.
  3. „Das hätte ja auch einen Menschen/ein Kind treffen können!“, ist ein häufiges Argument für Leinenzwang und Maulkorbpflicht, wenn sich ein Hund sehr aggressiv gegenüber einem anderen Hund zeigt. „Doch zu circa 98 Prozent muss man sagen: Nein, hätte es nicht, da Hunde durchaus zwischen Artgenossen und Menschen unterscheiden können“, weiß Schmelzer.

Die Expertin
Sandra Schmelzer leitet seit 2005 die „Hundeschule am Königsforst“ in Köln (zertifiziert nach §11 Tierschutzgesetz) und ist seit 2012 geprüfte Sachverständige nach dem Landeshunde-Gesetz NRW.